VERSCHWINDEN / IZGINJANJE

Ein Film von Andrina Mračnikar / Film Andrine Mračnikar

Ab 7. Oktober im Kino
V kinu od 7. oktobra
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"In Südkärnten sprachen vor 1910 zirka neunzig Prozent aller Bewohner*innen Slowenisch, heute ist es durchschnittlich ein einstelliger Prozentsatz.
Andrina Mračnikar formuliert in ihrem essayistischen Dokumentarfilm auf persönliche Weise eine hochpolitische Dringlichkeit:
Was passiert, wenn einem die Muttersprache im Alltag genommen wird?
Was muss die Politik tun, um dem Verschwinden einer Sprache, deren Schutz in der Verfassung festgeschrieben ist, entgegenzuwirken?"
Katalogtext Diagonale, Astrid Peterle
Gefördert durch

Kurzsynopsis

Filmemacherin Andrina Mračnikar begibt sich in ihrem Dokumentarfilm Verschwinden/Izginjanje in ihrer Südkärntner Heimat auf eine persönliche Spurensuche: Warum verschwindet die slowenische Sprache und mit ihr die slowenische Kultur immer mehr aus dem Alltag? Das Persönliche ist hier hochpolitisch. Ausgehend von den Erzählungen der eigenen Familie führt Mračnikar durch hundert Jahre österreichische Geschichte, die in Kärnten geprägt ist von politischen Versäumnissen und der vergebenen Chance, das Slowenische als Bereicherung und unverzichtbaren Bestandteil Österreichs wertzuschätzen.

Inhalt

Wie ein großer Teil der slowenischen Bevölkerung Südkärntens stimmte auch der Großvater von Filmemacherin Andrina Mračnikar 1920 für den Verbleib Kärntens in der Republik Österreich. Dieser Akt der Selbstbestimmung und der Demokratie hätte der Ausgangspunkt eines Zusammenlebens in Vielfalt sein können, wie es der slowenischen Minderheit gesetzlich auch zugesagt worden war. Stattdessen werden die Kärntner Slowen*innen seitdem auf vielfältige Art diskriminiert.
Hat sich Mračnikar in ihren früheren Dokumentarfilmen „Der Kärntner spricht Deutsch“ und Andri 1924–1944 der Zeit des Nationalsozialismus und den verheerenden Auswirkungen auf die slowenische Bevölkerung gewidmet, spannt sie nun in ihrem neuen Film Verschwinden/Izginjanje einen Bogen von hundert Jahren und spürt einer Geschichte nach, die im audiovisuellen Gedächtnis Österreichs kaum vorkommt.

Andrina Mračnikar verwebt das Persönliche und das Politische, indem sie sowohl ein bewegendes Familienportrait als auch eine kluge, historische Bestandsaufnahme entwirft. In den Interviews mit ihren Verwandten bekommen Ereignisse aus der Vergangenheit bildliche Präsenz. Die Bedeutung der slowenischen Sprache und die damit einhergehenden Benachteiligungen im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung werden so empathisch nachvollziehbar.
Einer der eindringlichsten Momente des Films schildert die Angriffe auf die slowenische Volksgruppe im Jahr 1972 beim sogenannten Ortstafelsturm. Wie in der Nazizeit fuhr ein faschistischer Mob mit Autos durch die Ortschaften und riss unter den Augen der Polizei zweisprachige Ortstafeln aus der Verankerung – die Erzählungen davon, die der Film versammelt, machen 50 Jahre danach sprachlos. Umso wichtiger ist es, dass Andrina Mračnikar in ihrem Film den Betroffenen ihre Stimme (zurück)gibt. Bis heute, so stellt sich heraus, werden die gesetzlichen Bestimmungen zu zweisprachigen Beschriftungen von den Behörden oft ignoriert: So hat die Heimatgemeinde der Filmemacherin, Keutschach/Hodiše, als „Kompromiss“ bis heute gar keine Ortstafel, sondern nur eine Verkehrstafel zur Geschwindigkeitsbegrenzung.

Angelpunkt aller Ereignisse ist die slowenische Sprache. Immer wieder ist die Stimme von Andrina Mračnikar zu hören, als Fragende und auch als Erzählerin, wenn sie davon spricht, wie eng das Slowenische mit kultureller Identität und emotionaler Verbundenheit verknüpft ist: manches lässt sich für sie nur slowenisch ausdrücken. So birgt auch der Familienname Mračnikar, der zwischenzeitlich eingedeutscht und später wieder ins slowenische Original zurückgeändert wurde, eine assoziationsreiche Geschichte.

1938 wurde die slowenische Sprache verboten, Plakate propagierten: „Der Kärntner spricht Deutsch“. Eine Anweisung, die bis heute im kollektiven Gedächtnis der deutschsprachigen Bevölkerung weiterlebt und stur wiederholt wird, ohne nach dem Warum zu fragen. Dieses schmerzliche Erbe hat Anteil am Verlust der Sprache im Alltag vieler Kärntner Slowen*innen. Einige davon kommen im Film zu Wort und zeichnen ein Bild des heutigen Kärntens, in dem eine Minderheit nach wie vor um ihre einst zugesagten Rechte kämpfen muss.
Früher lernten die Kinder slowenischer Familien erst in der Schule Deutsch, heute ist es umgekehrt. Wie wird das in 30 Jahren sein?, fragt die Regisseurin. Redet dann noch jemand Slowenisch? Was nützt die Sprache, wenn man sie mit niemandem mehr sprechen kann? Was stirbt mit der Sprache? Die Erinnerung? Die eigene Geschichte?
Am Ende des Films wird das Bauernhaus der Großmutter abgerissen, ein neues Haus soll entstehen. Verschwinden/Izginjanje ist ein bleibendes Andenken an das ehemalige familiäre Zentrum und seine Bewohner*innen und ein filmisches Mahnmal gegen das Vergessen.

 

Andrea Pollach

Andrina Mračnikar

Andrina Mračnikar wurde 1981 in Hallein geboren und wuchs in Ljubljana, Klagenfurt/Celovec und Keutschach/Hodiše auf. Sie studierte Kunstgeschichte in Wien und Filmregie an der AGRFT in Ljubljana. Ab 2002 studierte sie Regie sowie Buch & Dramaturgie an der Filmakademie Wien bei Michael Haneke und Walter Wippersberg. 2010 schloß Andrina Mračnikar beide Studien mit Auszeichnung ab.

Nach mehreren Preisen für ihre Dokumentarfilme erschien 2015 ihr erster Kino-Spiel Film MA FOLIE. Der Film lief auf zahlreichen internationalen Festivals, gewann unter anderem den renommierten First Steps Award und erhielt viele weitere Auszeichnungen, darunter einen Österreichischen Filmpreis sowie zwei Nominierungen für die Goldene Romy.
Ihre erste Arbeit für den ORF „Universum History – Kärnten / Koroška – Ein Jahrhundert unterm Mittagskogel / Stoletje pod Jepo” (in Zusammenarbeit mit Robert Schabus) wurde für den Fernsehpreis der Erwachsenenbildung nominiert.

“Verschwinden / Izginjanje” (Gewinner Publikumspreis Diagonale 2022) ist nach “Andri 1924-1944” und “Der Kärntner spricht Deutsch” der dritte Teil ihrer Trilogie über die Geschichte und Zukunft der slowenischen Volksgruppe in Kärntnen.

Weitere Informationen unter: www.andrinamracnikar.com

Fotocredit: Clara Wildberger, Diagonale

Filmografie

2022 VERSCHWINDEN / IZGINJANJE, Dokumentarfilm, 99min

2016 UNIVERSUM HISTORY –  Kärnten / Koroška, TV-film, 45m

2015 MA FOLIE, Spielfilmdebüt, 99min

2009 DIE WAND IST ABGERISSEN, Kurzfilm, 24min

2007 KRANKHEIT DER JUGEND, Spielfilm (Segment), 100min

2006 DER KÄRNTNER SPRICHT DEUTSCH, Dokumentarfilm, 60min

2002 ANDRI 1924–1944, Dokumentarfilm, 20 min

Credits

Verschwinden / Izginjanje

DOKUMENTARFILM
Österreich/Slowenien, 99min.

Konzept & Regie: Andrina Mračnikar

Kamera: Judith Benedikt
Schnitt: Gerhard Daurer
Ton: Julij Zornik, Bertram Knappitsch, William Eduard Franck, Andreas Hamza
Komponist: Peter Kutin

Produktionsleitung: Natalija Hartmann

Eine Ko-produktion zwischen Soleil Film (AT) und Vertigo (SI)
Produzenten: Jürgen Karasek, Danijel Hočevar

Verleih Österreich: Filmdelights

Nationale Premiere: Diagonale 2022, GEWINNER PUBLIKUMSPREIS

Slowenische Premiere: Kino Otok Izola 2022, ERÖFFNUNGSFILM

Tränen im Kinosaal bei "Verschwinden / Izginjanje" von Andrina Mračnikar: „Das berührt mich, ganz ehrlich“, sagt eine Frau im Publikumsgespräch nach der Premiere im Grazer Schubertkino. Sie schluchzt; jemand streicht ihr über den Rücken. Das Mikrofon wandert weiter. „Als deutschsprachige Kärntnerin war mir nicht bewusst, wie arg es um die Geschichte der Kärntner Slowenen bestellt ist“, heißt es ein paar Reihen weiter. Ein Film, scheinbar so wichtig, dass er in den Lehrplan gehört. Mit absoluter Klarheit in seiner Aussage und einer angemessenen Sprache für das Ungeheuerliche.
Kleine Zeitung, Katrin Fischer

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