Podiumsgespräch: 9-Euro-Ticket – und nun?

Datum/Zeit
Date(s) - 16/09/2022
19:30 - 21:30

Veranstaltungsort
Mehrgenerationenhaus LINDE

Kategorien Keine Kategorien


Angefragt zur Veranstaltung:

Vertreter/in von attac

Vertreter/in der EVG bzw. der GDL

Winfried Wolf, u.a. Chefredakteur der Vierteljahreszeitschrift Lunapark21


Zur Frage, was nach dem 9-Euro-Ticket kommen soll, gibt es bereits mehrere Vorschläge und Überlegungen. Ein Vorschlag stammt von Dr. Winfried Wolf. Wir haben die beiden ersten Punkte des Vorschlags unten abgedruckt.

Quelle: Website Klimabahn-Initiative

„Warum eine bloße Verlängerung nicht sinnvoll ist und wie ein Gesamtprogramm aus sozialer und klimapolitischer Sicht aussehen sollte

Zutreffend ist, dass das 9-Euro-Ticket – ungewollt, seitens der FDP-Erfinder – einen Einstieg in einen bessere und sozial akzeptablen öffentlichen Verkehr bieten kann. Die bloße Forderung nach “Verlängerung” sehe ich jedoch ausgesprochen kritisch. Ein Bejubeln des 9-Euro-Tickets als “Erfolg” ist auf alle Fälle falsch.

Dazu die folgenden sieben Thesen.

1. KLIMA & VERLAGERUNG

Es gibt keine belastbaren Belege dafür, dass es in den Monaten Juni und Juli zu weniger das Klima belastendem Verkehr – also zu einer echten Verkehrsverlagerung – gekommen wäre. Es spricht alles dafür, dass es in der Summe und perspektivisch zu mehr Klimabelastung kommt – zu einem auf Dauer weiter steigendem Pkw-Verkehr und zu einem deutlichen Plus im öffentlichem Verkehr.

2021 gab es erneut einen massiven Zuwachs der Pkw-Flotte um gut eine Million (netto!) auf 48,7 Millionen Pkw. Auch 2022 gibt es laut Kraftfahrzeugbundesamt den ununterbrochenen Trend bei den Neuzulassungen: Erneut gibt es Monat für Monat NETTO einen Zuwachs bei der Pkw-Flotte – auch in den 9-Euro-Ticket-Monaten Juni und Juli, und auch im zuletzt registrierten Monat Juli 2022.

Konkret: Im Juli 2022 gab es 205.911 neu zugelassene Pkw; im gesamten Zeitraum Januar bis Juli 2022 waren es 1,4 Millionen Neuzulassungen. Damit dürfte es im gesamten Verlauf von 2022 ein Plus von gut 2,2 Millionen bei den Neuzulassungen und um ein Plus von deutlich mehr als eine Million im Bestand geben – also NETTO deutlich mehr als 2021.[1]

All das muss praktische Auswirkungen haben.

Doch selbst wenn der Pkw-Verkehr “nur” gleich bleiben würde, laufen die Loblieder auf das Plus im Schienennahverkehr doch darauf hinaus, dass es ein Plus der verkehrsbedingten Klimabelastung gibt wegen des ergänzenden deutlichen Anstiegs im öffentlichen Verkehr.

2. SOZIALE LAGE & UNSOZIALE MOBILITÄT

Nun gibt es das Argument “Keiner kann denjenigen, die finanziell schlecht gestellt sind, vorschreiben, wie oft und wohin sie fahren wollen”.

Das wirkt wie ein Totschlagargument – doch es ist sachfremd. In der bestehenden Wirtschaftsordnung gibt es schlicht immer und grundsätzlich ein solches “VORSCHREIBEN”. Die Reichen haben weitgehend freie Mobilität – per ICE, per Porsche, per Jacht, und demnächst per City-Heli. Die Mobilität der Armen ist immer eingeschränkt. Der Aufkleber “Mein Porsche fährt auch ohne Wald” war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zynisch-populär; das drückt auch heute noch die soziale (und klima-schädigende) Struktur von Mobilität aus, die ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Struktur ist. Den größten ökologischen Fußabdruck haben nun mal die Wählerinnen und Wähler von FDP und Grünen.

Es geht darum, wie wir die Mobilität derjenigen, die wenig Einkommen haben, erweitern – und wie das eingepflegt wird in den Gesamtkontext von Ressourcen und Klimabelastung – und (damit) in den modal split, also in die Verteilung der fünf verschiedenen Verkehrsarten: Zufußgehen, Radeln, motorisierter Autoverkehr, öffentlicher Verkehr (Busse &Bahnen) und Flugverkehr.

Würde man im Flugverkehr den Nulltarif einführen, dann würden die Leute per Jet zur Weekend-Broadway-Aufführung nach New York City fliegen. Die Billigfliegerei zeigt bereits die gesamte Problematik auf – das Spannungsfeld zwischen sozialen Forderungen und “Mobilität für alle” einerseits und Klimabelastung bzw. Umweltzerstörung andererseits.

 

Weitere Vorschläge finden sich hier

Was soll nach dem 9-Euro-Ticket kommen?

Quelle: Zeit online 25.7.22

Seit knapp zwei Monaten gibt es das 9-Euro-Ticket, rund 21 Millionen Mal wurde es allein im Juni verkauft. Weitere zehn Millionen Menschen, die schon vorher ein Nahverkehrsabo hatten, fahren außerdem zum günstigeren Preis. Verkehrsminister Volker Wissing spricht von einem „Riesenerfolg„. Eine Auswertung des Navigationssoftwareherstellers TomTom deutet darauf hin, dass das neue Angebot auch die Straßen entlastet. Sozialverbände sprechen sich für eine Fortsetzung aus. Und dennoch ist noch nicht sicher, ob es nach dem Ende des 9-Euro-Tickets ein neues, günstiges Ticket für den bundesweiten Nahverkehr geben wird.

Scheitern könnte es am Geld: Für die Monate Juni bis August hatte sich der Bund mit 2,5 Milliarden Euro an den Kosten beteiligt, für eine künftige Finanzierung müssten die Bundesländer selbst aufkommen, so Wissing. Bei neun Euro dürfte es vermutlich nicht bleiben. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hatte ein 69-Euro-Ticket vorgeschlagen, das ebenfalls bundesweit im Nahverkehr gelten soll. Alternativ ist ein Jahresticket im Gespräch, das 365 Euro kosten könnte. Zunächst soll jedoch der Nutzen des bisherigen Angebots ausgewertet werden.

Die Verkehrsunternehmen warnen zudem vor den Folgen des Erfolgs: Die deutlich gestiegene Nachfrage sei mit Blick auf den Klimaschutz und die Belastungen des Systems „kritisch zu hinterfragen“, sagte der VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Umfragen des Verbandes zeigen, dass zwar viele Menschen durch das Ticket erstmals die Bahn nutzen, dass sie aber häufig auch Reisen unternehmen, die sie sonst eher nicht gemacht hätten.


Quelle Süddeutsche Zeitung  vomJuli 2022 – Markus Balser, Berlin

Nahverkehr: Nachfolger für Neun-Euro-Ticket frühestens Ende des Jahres

Verkehrsminister Volker Wissing hält ein dauerhaftes bundesweites Ticket für möglich. Eilig hat er es dabei nicht. Branchenmanager fürchten, dass der FDP-Politiker auf Zeit spielt.

Seit eineinhalb Monaten können die Deutschen nun schon zum günstigen Festpreis mit dem Nahverkehr durchs Land fahren. Und der Zuspruch ist gewaltig. 31 Millionen Menschen, rechnet die Bundesregierung vor, haben sich inklusive der Abonnenten in den ersten Wochen ein Neun-Euro-Ticket gekauft. Auch Politiker der Ampel-Regierung, die das Ticket im Frühjahr in einer Nacht- und Nebel-Aktion beschlossen hatten, sind überrascht vom Erfolg des Angebots. Schon in den vergangenen Tagen war die Forderung laut geworden, ab September eine Nachfolgelösung anzubieten. 19 bis 69 Euro im Monat oder 365 Euro im Jahr – für eine Anschlussregelung liegen längst verschiedene Modelle auf dem Tisch.


Bundestag: Antrag DIE LINKE zur Verlängerung des Neun-Euro-Tickets am 08.07.22 – 10.584 Aufrufe – 08.07.2022 –phoenix – 

Antrag der Partei DIE LINKE zur Verlängerung des Neun-Euro-Tickets. Mit Reden von: 00:00 Janine Wissler, Die Linke 05:23 Dorothee Martin, SPD 09:55 Michael Donth, CDU 16:05 Nyke Slawik, B’90/GRÜNE 19:35 Mike Moncsek, AfD 24:52 Valentin Abel, FDP 30:29 Martin Kröber, SPD 35:25 Jonas Geissler, CSU 43:15 Swantje Henrike Michaelsen, B’90/GRÜNE 46:32 Mathias Stein, SPD


Quelle: VCD Landesverband BW Pressemitteilung vom 5.7.22


VCD BW für überregionales Abo-Modell – mit dem BaWü-PlusTicket Bus- und Bahnfahren radikal vereinfachen

21 Millionen 9-Euro-Tickets wurden allein im Juni 2022 gekauft, weitere 10 Mio. Menschen nutzten es im Rahmen ihres Nahverkehrs-Abos – ein überwältigender Erfolg, der deutlich macht: Es muss eine Nachfolge geben, dann kann die Verkehrswende gelingen. Auch die Bundesregierung denkt inzwischen über ein klimafreundliches Ticketmodell nach. Wie ein solches Modell konkret aussehen kann, zeigt der VCD mit seinem neuen, bundesländer-übergreifenden Abo-Konzept: Dem Länder-PlusTicket.

Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) Landesverband Baden-Württemberg sieht in der Debatte um ein klimafreundliches Ticketmodell eine Chance, die nicht verpasst werden darf. Bus und Bahn sind Dank 9€-Ticket so gut nachgefragt wie lange nicht mehr. Klar ist allerdings auch: Mit 9€ im Monat können die Kosten der Verkehrsunternehmen nicht gedeckt werden. Als langfristige Lösung schlägt der VCD deshalb ein neues Tarifkonzept vor: Das Länder-PlusTicket – eine Zeitkarte, die auch weite Fahrten im Regionalverkehr bundesländerübergreifend ermöglicht und den Übergang in angrenzende Tarifzonen erleichtert. Das Ticket soll bundesweit für insgesamt acht Großräume angeboten werden und auch für den jeweils ersten Halt im angrenzenden Geltungsbereich gültig sein. Für Baden-Württemberg soll das BaWü-Plus-Ticket gelten.

VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb erklärt: „Die Fahrgäste möchten ohne Kenntnis von Tarifzonen und Verbundgrenzen Bus und Bahn nutzen. Mit dem BaWü-PlusTicket, das nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch den angrenzenden Verbundräumen in der Pfalz, im südlichen Hessen und in Bayern rund um Würzburg, Neu-Ulm und Lindau gelten soll, gibt es auch eine Lösung für die Randzonen des Landes“.

Die Preise für das Ticket sollen für alle bezahlbar und dauerhaft finanzierbar sein, ohne den notwendigen weiteren Ausbau des Bus- und Bahn-Angebotes auszubremsen. So soll der Standardpreis 75 Euro im Monat betragen. Als Sozialticket sowie für Schüler*innen, Azubis und Studierende soll es für 30 Euro im Monat erhältlich sein. Das wäre auch der Preis für die Erweiterung um einen weiteren der acht Großräume. Für 135 Euro könnte ein Ticket für den Nah- und Regionalverkehr in ganz Deutschland erworben werden.

Zum Hintergrund: Nähere Informationen zum Länder-PlusTicket, dessen Geltungsbereichen und weiteren Vorschlägen zum Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs finden Sie in folgendem Papier: VCD-Tarifkonzept